Was ist Gewalt?
Viele Menschen denken bei dem Wort Gewalt zuerst an körperliche Gewalt. Zum Beispiel, wenn jemand geschlagen wird. So eine Tat kann man sehen. Es ist oft klar, wer die Tat ausübt, und wer betroffen ist. Alle sind sich meist einig: Das ist Gewalt.
Aber es gibt auch andere Formen von Gewalt, die man nicht direkt sehen kann. Zum Beispiel:
- Verbale Gewalt (durch Worte),
- soziale Gewalt (zum Beispiel Ausgrenzung),
- ökonomische Gewalt (zum Beispiel durch Geldentzug),
- emotionale Gewalt (zum Beispiel durch Ignorieren oder Manipulation).
Diese Formen von Gewalt hinterlassen keine sichtbaren Spuren. Deshalb werden sie oft nicht ernst genommen oder sogar abgestritten. Wir sagen: Alle Formen von Gewalt sind ernst und wichtig – nicht nur die körperliche.
Gewalt in sozialen Medien
Ein Beispiel für solche unsichtbare Gewalt ist Gewalt auf Social Media. Viele queere Menschen erleben dort Hass und Ausgrenzung, zum Beispiel:
- Eine trans* Person postet ein Foto und bekommt viele beleidigende Kommentare über ihr Aussehen oder ihre Identität.
- Ein queeres Paar zeigt ein Bild von sich, woraufhin ihnen Menschen schreiben, dass sie „krank“ oder „unnatürlich“ seien.
- Auf Plattformen wie TikTok oder Instagram werden queere Inhalte gemeldet und gelöscht, nur weil sie queere Themen zeigen – obwohl sie nicht gegen Regeln verstoßen.
- In Gruppen oder Kommentarspalten wird gezielt Stimmung gegen queere Menschen gemacht – zum Beispiel durch das Verbreiten von Lügen oder Verschwörungserzählungen („Queere Menschen schaden Kindern“ o. Ä.).
Auch das ist Gewalt – sie passiert zwar digital, hat aber echte Auswirkungen auf die Psyche, das Selbstwertgefühl und manchmal auch auf die Sicherheit queerer Menschen.
Gewalt kann auf unterschiedlichen Ebenen ausgeübt werden:
- Zwischenmenschliche Gewalt (interpersonell): Eine oder mehrere Personen tun einer anderen direkt etwas an.
- Strukturelle Gewalt: Diese ist nicht direkt sichtbar und nicht auf eine bestimmte Person zurückzuführen. Sie steckt in gesellschaftlichen Regeln und Systemen. Sie sorgt dafür, dass bestimmte Gruppen schlechter behandelt oder ausgeschlossen werden.
Zwischenmenschliche Gewalt hängt fast immer mit struktureller Gewalt zusammen. Sie entsteht nicht im luftleeren Raum, sondern in einem System, das bestimmte Menschen benachteiligt.
Gewalt gegen queere Menschen
Queere Menschen erleben Gewalt nicht nur durch direkte Angriffe. Es gibt auch institutionelle, gesellschaftliche und strukturelle Gewalt, die sie trifft. Diese Gewalt entsteht, weil queere Menschen nicht den üblichen Vorstellungen von Geschlecht oder Sexualität entsprechen.
Diese Gewalt kann zum Beispiel so aussehen:
- Queere Menschen werden beim ärztlichen Besuch oder in der Psychotherapie falsch behandelt.
- Ihr Geschlecht wird in Formularen, bei Behörden oder im Alltag nicht anerkannt.
- In sozialen Medien werden sie beleidigt oder ihre Profile werden gemeldet, weil sie sichtbar queer sind.
Was wir tun
Unsere Arbeit baut auf der Arbeit von früheren Bewegungen gegen Gewalt auf – zum Beispiel von feministischen Gruppen. Diese haben gezeigt:
- Gewalt hat oft mit dem Geschlecht zu tun.
- Gewalt in Familien oder Beziehungen ist kein „privates Problem“, sondern Teil eines größeren gesellschaftlichen Systems.
- Die Gesellschaft muss Verantwortung übernehmen.
Ein wichtiger Grundsatz unserer Arbeit ist Parteilichkeit. Das heißt: Wir glauben den betroffenen Personen. Wir stellen ihre Erfahrungen nicht in Frage. Ihr Schutz und ihre Bedürfnisse stehen für uns an erster Stelle.
Unser Blick ist queer-feministisch. Wir schauen kritisch auf:
- Heteronormativität (die Annahme, dass alle heterosexuell lieben und leben),
- Allonormativität (die Annahme, dass alle Menschen romantische oder sexuelle Beziehungen wollen),
- Binäres Geschlechtersystem (die Idee, es gebe nur Männer und Frauen).
Mit diesem Blick machen wir auch besondere Gewalterfahrungen sichtbar – zum Beispiel:
- Gewalt in queeren Beziehungen,
- Gewalt durch die Herkunftsfamilie, wenn jemand queer ist,
- Gewalt im Internet, wenn queere Menschen wegen ihrer Identität angegriffen werden.
Gewalt von rechts
Wir arbeiten auch mit Wissen aus Beratungsstellen, die sich mit rechter Gewalt beschäftigen. Queerfeindliche Gewalt kann viele Formen haben, zum Beispiel:
- Beleidigungen,
- körperliche Angriffe,
- Ausgrenzung,
- Sachbeschädigung.
Auch auf Social Media kommt es immer wieder zu gezielten rechten Kampagnen gegen queere Menschen. Dort werden sie öffentlich beschimpft oder es wird versucht, sie zum Schweigen zu bringen – zum Beispiel durch Drohungen oder Cybermobbing.
Diese Gewalt wirkt auf drei Ebenen:
- Mikroebene: Die einzelne betroffene Person wird direkt verletzt.
- Mesoebene: Andere queere Menschen fühlen sich dadurch auch bedroht.
- Makroebene: Die Gewalt richtet sich gegen die Demokratie und Menschenrechte insgesamt.
Wir wollen in unserer Arbeit alle diese Ebenen sehen und gemeinsam mit Betroffenen Wege finden, damit umzugehen.
Queerness ist nur ein Identitätsmerkmal
Queersein ist nur ein Teil der Identität eines Menschen. Viele queere Menschen haben noch andere Merkmale, die wichtig sind. Deshalb erleben zum Beispiel Queers of Color, queere Menschen mit Be_hinderung oder arme queere Menschen Gewalt oft auf mehreren Ebenen. Sie haben es schwerer, über Gewalt zu sprechen oder Hilfe zu bekommen. Auch innerhalb queerer Gruppen gibt es Gewalt. Wir sehen das und nehmen es in unsere Arbeit auf.
Was bedeutet „queer“?
„Queer“ ist ein Überbegriff. Damit sind Menschen gemeint, die nicht heterosexuell sind oder nicht dem binären Geschlechtersystem entsprechen. Zum Beispiel:
- Lesbisch, schwul, bisexuell, asexuell, pansexuell,
- Biromantisch, aromantisch, panromantisch,
- Inter*, trans*, nicht-binär, agender, genderfluid, genderqueer, questioning – und viele mehr.
Queere Menschen haben sehr unterschiedliche Erfahrungen. Aber alle erleben in irgendeiner Weise Ausgrenzung, weil sie nicht der gesellschaftlichen Norm entsprechen. Diese gemeinsame Erfahrung ist wichtig, um Solidarität zu schaffen – also ein gemeinsames Miteinander im Kampf gegen Gewalt und Diskriminierung.